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Meer der Illusionen

Seit Sigmund Freud ist klar: Wir sind selbst Urheber unserer Träume. Was jedoch ein Traum ist, warum und wodurch er hervorgerufen wird, ist nach wie vor nicht vollständig erforscht. Seit Hirnströme messbar sind, kann man aber zumindest sagen, dass die Hirnaktivität, die während einer Traumphase gemessen wird, der Aktivität des Wachzustandes entspricht oder sie sogar übertreffen kann. Menschen, die während dieser Phasen geweckt wurden, berichteten durchweg von sehr lebhaften Traumerlebnissen.

1953 entdeckten die amerikanischen Wissenschaftler Aserinsky und Kleitmann den Traumschlaf. Sie stellten fest, dass ungefähr viermal pro Nacht für fünf bis 65 Minuten eine besonders hohe Hirnstromaktivität auftrat. Damit einher gingen stets rasche Augenbewegungen bei geschlossenen Lidern. Sie nannten diese Phase deshalb Rapid-Eye-Movement-Sleep oder kurz REM-Sleep. 80 bis 85 Prozent der Personen, die während einer solchen REM-Schlafphase geweckt werden, können über zum Teil komplexe Traumhandlungen berichten. Heute ist klar, dass Träume auch in allen anderen Phasen des Schlafs auftreten, allerdings sind sie dann oft weniger lebhaft, kürzer oder ähneln eher einer Halluzination, so zum Beispiel in der Einschlaf- oder Aufwachphase.

Auffällig für den REM-Schlaf ist aber nicht nur die große Hirnaktivität. Während dieser Phasen nehmen auch Herz- und Atemfrequenz sowie der Blutdruck deutlich zu und werden oft so intensiv, dass sie wiederum dem Wachzustand gleichen. Manchmal verbraucht der Körper hier sogar mehr Energie als bei Bewusstsein. Überraschend, um nicht zu sagen paradox, ist es, dass der Körper während dieser Zeit wie gelähmt daliegt. Muskelspannung und Sehnenreflex lassen sich fast nicht mehr messen, sodass der Mensch in dieser Phase kaum in der Lage ist, sich zu bewegen. Warum aber dieser paradoxe Schlaf? Der Lähmungsmechanismus führt zu einer maximalen Ruhigstellung des Körpers, da sonst die Gefahr bestünde, dass der Schläfer seinen Traum, der – wie erwähnt – mitunter sehr lebhaft sein kann, wahrhaftig in die Tat umsetzt. Ganz entgegen der landläufigen Meinung, dass viele Bewegungen während des Schlafs auf einen lebhaften Traum hindeuten, liegen wir also während der Traumphasen besonders still.

Warum das Gehirn des Menschen und wohl auch der Tiere Traumbilder erzeugt, erklären Wissenschaftler auf sehr unterschiedliche Weise. Leider überzeugt bisher keine dieser Theorien. Sigmund Freud nahm an, dass sie der Verwirklichung geheimer Wünsche dienen, deren Erfüllung in der Realität gesellschaftlich sanktioniert würde. Andere, auch Laien sind der Ansicht, dass sie zur Verarbeitung und Lösung von Problemen aus dem Wachleben beitragen und emotionale Erlebnisse einordnen sowie Stimmungen glätten. Eine populäre Meinung ist zudem der Ansatz, dass das Unbewusste eine kreative Macht habe und so zu Erfindungen auf allen Gebieten des menschlichen Lebens beitragen könne. Die Molekularbiologen Francis Crick und Graham Mitchison behaupten dagegen: „Wir träumen, um zu vergessen.“ Da das Gehirn, zum großen Teil ohne, dass es uns überhaupt bewusst ist, viele überflüssige und unnütze Informationen aufnimmt, ist es von Zeit zu Zeit notwendig, die Festplatte zu säubern, damit wieder neue Informationen aufgenommen werden können. Diese Arbeit übernimmt – so zumindest Crick und Mitchison – der Traum.

Andere Hypothesen besagen, dass das Gehirn durch den REM-Schlaf reife, was durch den erhöhten REM-Anteil bei Neugeborenen unterstützt werden könnte. Einige Wissenschaftler behaupten allerdings auch, dass der Traum lediglich ein Überbleibsel aus der Evolution sei und damit keinerlei Funktion habe. Dagegen spricht wiederum, dass der Traum für die geistige Gesundheit essenziell zu sein scheint. Traumbehinderung (eine Foltermethode, um Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen) oder Traumschlafstörungen, z.B. durch Alkohol oder Schlafmittel, können auf lange Sicht zu psychischen Störungen führen; von Gereiztheit und Aggressivität bis hin zu Wahnvorstellungen und sogar Persönlichkeitsveränderungen. Daher ist es ein Hauptgebot des gesunden Schlafs, auch zu träumen.

Autor: Michael Babilinski